Russische Tradition ist mehr als Wodka - Auf den den Spuren der Donkosaken vom 3. bis 10. September in Rostow am Don
„Das ist russische Tradition. Da darf man nicht Nein sagen.“ Mit diesen Worten auf der Willkommensparty in seinem Haus gab Gastgeber Michael uns den „Marschbefehl“. Eine Woche Rostow am Don gleich eine Woche russische Tradition. Die glücklicherweise aus mehr als Wodka besteht.
Sehr traditionell waren wir schon angereist – im Zug von Moskau nach Rostow. 18 Stunden im Schlafwagenabteil, mit typischer Zugtoilette, dem „besten Borscht“ und einer beflissenen Deschurnaja. Eine Erfahrung die dieser spannend fand, jener aber nie wieder machen möchte. Doch wir kamen am 3. September früh um 9 Uhr gut an und wurden auf dem Bahnhof großartig von den Freunden aus Rostow empfangen. Von Freunden, die durchweg jung waren, jünger als wir. Das war neu im Klub. Aber auch interessant. Was hatte Austauschleiterin Maria für uns vorbereitet?
Es begann schon mal besonders mit – baden. Wir trafen uns in einem Countryclub mit großem Pool. Nicht nur, weil wir uns erholen sollten, sondern auch, weil unsere Gastgeber arbeiten mussten! Bei der anschließenden Willkommensparty dann gab es den ersten Wodka, sogar selbstgemachten, für die Gäste, Trinksprüche, Verbrüderungs- und Verschwesterungsküsse. Und dazu typisch russisches Essen: Kasha, marinierter Kohl, Speck, Gurken, Fischsuppe, scharfe Knoblauchzehen, noch schärferer Senf und Melonen. Frische Melonen aus der Umgebung wurden in Rostow wohl zum Lieblingsgericht aller Gäste.
Leider gab es bei diesem Empfang Irritationen wegen der russischen Tradition. Das Problem war nicht der für mich sehr bekömmliche Wodka, sondern der Ausflug nach Asow. Ein Teil der Gruppe wollte dort kein Museum besuchen, andere vielleicht eines oder es überhaupt erst vor Ort entscheiden. Keine leichte Aufgabe für Maria, die es dann aber schaffte, den Ausflug in die einstige Kosakenhauptstadt zur Zufriedenheit aller zu organisieren.
Erst einmal starteten wir am Dienstag mit einem Rundgang durch Rostow, spazierten durch einen Park, fuhren mit dem Riesenrad, ließen uns die wichtigsten Denkmale erklären, so das der Festungserbauer im 18. Jahrhundert, zu denen ein deutscher Baumeister gehörte. Wir promenierten auf der sieben Kilometer langen Puschkina, wanderten durch das moderne Geschäftsviertel über den zentralen Markt hinunter zum Don, wo wir eine Bootstour genossen. Der Abend brachte dann einen Teil der Gruppe zu ihren Gastgebern nach Hause, wir - Uschi, Hans-Jürgen und ich – mussten noch arbeiten. Beim Kneipenquiz in einem Restaurant am Don sollten wir Mascha, ihre Schwester Dascha, meine Gastgeberin Veronika und ihre Freunde unterstützen. Leider konnten wir bei der einzigen Frage zu Deutschland nicht helfen, weil wir sie einfach nicht verstanden...
Am Mittwoch stand eine Fahrt nach Novocherkassk auf dem Plan, als eine der Hauptstädte der Donkosaken wichtig für die Tradition. Wir sahen die Kathedrale, das Denkmal des wohl berühmtesten Kosakenführers Platow. Das alles bei über 30 Grad. Vor der anschließenden Führung durch den botanischen Garten gab es Wodka, Samagon in zwei Geschmacksrichtungen. Ob es daran lag, dass die Führung durch den japanischen Garten und die Teezeremonie allen sehr lang und anstrengend vorkam?
Was meine Mitreisenden an diesem Abend unternahmen, weiß ich nicht. Ich saß mit Veronika beim von ihr organisierten Zahnarzt, um mir meinen in Moskau verloren gegangene Schneidezahn ersetzen zu lassen. Anschließend gab es typisch russisches Pelmeni-Shushi.
Der Donnerstag führte uns nach Starocherkassk, ebenfalls einmal Donkosaken-Hauptstadt mit einer interessanten Geschichte. Wir wanderten durch den Ort, vorbei an alten und neuen Häusern, einer typischen Kirche und erfuhren vom deutsch sprechenden Stadtführer Interessantes über die kriegerischen Kosaken, die in vielen europäischen Kriegen mitkämpften. Ganz konkret wurde es dann in der Laube des Atamans Platow bei der Initialisierung Hans-Jürgens zum Kosaken. Mit Wodka, Peitsche und einer Urkunde.
Abend luden wir unsere Gastgeber ein in ein Restaurant mit traditionellem Essen. Das war so üppig, dass wir über die Sakuski, die Vorspeisen, nicht hinaus kamen. Dort hörten wir auch das, was wir eigentlich überall am Don erwartet hatten: singende Donkosaken. Nach ihrem sehr kurzen Auftritt sangen wir eben selbst und tanzten bis zur Erschöpfung.
Taganrog, die Geburtsstadt Anton Tschechows, stand am Freitag auf dem Programm. Die erste Station war Tanais, eine Ausgrabungsstätte früher Besiedlung. Schon im 3. Jahrhundert hatten sich Griechen vom Bosporus hier niedergelassen und den Ort zum wichtigen Handelszentrum gemacht. Leider waren die Erläuterungen so langweilig, dass selbst der willigste Zuhörer auf eine harte Probe gestellt wurde. Interessanter war dann die Führung durch die alte Siedlung mit ihren Wehrtürmen, Wohnhäusern, Plätzen, öffentlichen Gebäuden. Zum Don hin gab es sogar einen Leuchtturm.
In Taganrog war unsere Zeit durch Staus unterwegs leider viel zu knapp. Es reichte gerade für ein Foto am Tschechow-Denkmal und einen sehr interessanten Besuch seines sehr kleinen Geburtshauses. An der Promenade zum Asowschen Meer gab es dann wieder Wodka für alle. Ich verzichtete, sollte ich doch abends meinen neuen Zahn erhalten. Den bekam ich dann auch, eine Superleistung von Dr. Makarow und seinen Mitarbeitern, die ich abends mit Kaviar und Wodka feierte. Veronika – soviel zu russischer Tradition – trank Kognak mit Cola.
Am Sonnabend ging es nach Asow, auch eine Hauptstadt der Donkosaken. Hier teilte sich die Gruppe. Ich ging mit ins international hochgelobte Historische Museum. Und war – wie auch die anderen Museumsbesucher – hoch begeistert. Nicht nur wegen der wohl einmaligen Knochenfunde eines Ur-Mammuts. Das Museum in einem historischen Gebäude ist sehr modern gestaltet, die Museumsführerin – ins Deutsche übersetzt von Paul, dem Freund von Maria – erläuterte uns kurzweilig und interessant die Entwicklung des Gebiets. Anschließend spazierten alle hinunter zum Don, in dem dann Wolfgang, Hans-Jürgen, Irmela und ich badeten. Das Wasser war erstaunlich sauber, der Grund etwas rutschig. Aber wirklich warm war der Don nicht.
Abends dann begleiteten Uschi, Hans-Jürgen und ich unsere jungen Gastgeber auf den Foodmarket, wo Maria und Paul mit ihrer Gruppe nicht Kasatschok, sondern Salsa tanzten. Wo wir Lena trafen, die eine Kusine in Schwerin hat und unsere Stadt deshalb schon oft besucht hat. Und wo wir erfuhren, dass Paul Gedichte schreibt, Nachkomme von Kosaken ist und eine so schöne Urururoma hatte, dass sie von ihren Leuten vor Ataman Platow versteckt werden musste...
Der Sonntag war den Familien vorbehalten. Gemeinsam mit Kösters und Stramkas fuhr ich auf das Weingut Elbuzd. Wir besichtigten den Weinberg mit den aus Frankreich geholten Reben, die Maschinen, die aus Deutschland kommen, und den Weinkeller, der vor der neuen Ernte noch leer war. Bei der Verkostung von fünf Weinen überzeugte vor allem der Sauvignon franc, von dem wir uns eine Ladung nach Hause bestellten.
Dann war auch schon der Abschied gekommen. In einem Restaurant mit wieder zu reichlichem grusinischen Essen feierten wir das Ende einer schönen Woche mit trotz ihrer Jugend sehr engagierten und freundlichen Gastgebern, die ihren Gästen jeden Wunsch erfüllen wollten. Das scheint mir eine russische Tradition zu sein, die die jungen Leute des Landes gern weiter führen.
Birgitt Hamm